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Britten-Oper als gewaltiges Seelendrama

In Roman Hovenbitzers Inszenierung von "Peter Grimes" übertragen sich die Qualen der Figuren aufs Publikum. Ein überwältigender Abend – vom Premierenpublikum frenetisch gefeiert.

Das Meer lässt einen nicht mehr los. Fast drei Stunden lang tost und brandet es immer wieder auf. Die Naturmacht schickt sich an, das Parkett zu fluten. Auch wenn jeder weiß, dass nicht einmal die Musiker im Orchestergraben gefährdet sind, weil die Wellen nur Projektion sind, bleibt die Anspannung. Zu geschickt hat Roy Spahn das Bühnenbild zu "Peter Grimes" gestaltet, zu dicht hat Roman Hovenbitzer die Oper inszeniert, die Benjamin Britten direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs uraufführte und dem Komponisten zum Durchbruch verhalf.

Und zu eindringlich machen Sänger und Musiker ihre Sache. Das Zischen und Donnern der Bombardierungen, der beklemmende Rhythmus von Soldatenstiefeln in der Musik muss damals den Menschen ins Mark gegangen sein. Und auch dieser "Peter Grimes" lässt sich nicht abschütteln – nicht in der Pause und auch nicht nach dem frenetischen Beifall des Premierenpublikums. (...)

Die See ist das Bild einer aufgewühlten Seele. (...) Düster, dunkel und drohend ist Peter Grimes meistens zu sehen. Das Team um Hovenbitzer hat es zu einem Psychothriller gemacht, der die Furcht der Menge vor dem Außenseiter und den Druck einer Schuld – ob gerechtfertigt oder nicht, das bleibt offen – seziert. Das Publikum ist bei dieser Autopsie ganz nah am Skalpell. Hitchcock lässt grüßen. Der Altmeister der Hochspannung ist auch dafür berühmt, dass er in jedem seiner Filme in einer Kurzszene auftaucht. So eine Figur ist bei Britten der Dichter George Crabbe, dessen Verserzählung aus dem 18. Jahrhundert die Vorlage fürs Libretto lieferte. Ohne zwingenden dramaturgischen Grund kommt er mehrfach kurz vor und verschwindet wieder.

Hovenbitzer hat die Figur ausgebaut: Als fahler Gevatter Tod geistert Christoph Mühlen durch die Szenen, taucht überall auf, wo das Schicksal zuschlägt, und ohne einen Ton zu sagen oder zu singen, zieht er alle Fäden des Bösen. Schon vor dem Prolog wird er eingeführt – in einer Kasperletheaterbühne, wo die wesentlich radikalere englische Kasperlefigur "Punch" seine Gretel tüchtig vermöbelt. Mit gleicher Wut wird später die Dorfgemeinschaft gegen Grimes zu Felde ziehen. So eng wie ein Kasperle-Theater ist der Holzkasten, in dem sich die Ereignisse zuspitzen – und der mit Meer-Video bespielt wird, sich so öffnen und schließen lässt, dass er Gradmesser für die Stimmungstemperatur der kochenden Volksseele wird.Der Chor – verstärkt durch den Extrachor – ist eine Wucht. Auch im optischen Sinne. (...) Und auch die Solisten überzeugten als makellose Rädchen in Hovenbitzers Feinmechanik. (...) Eine rundum stimmige Sache.

(Rheinische Post)

 

Keine Chance gegen den unberechenbaren Mob

Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ kommt als packendes Drama auf die Krefelder Bühne

(...) Die Zeitlosigkeit des Stoffes wurde in der eindringlichen Regie von Roman Hovenbitzer deutlich, der gemeinsam mit Roy Spahn (Bühnenbild) und Magali Gerberon (Kostüme) bereits optisch einen Abend wie aus einem Guss geschaffen hat. Das Meer und das karge Leben in dem englischen Fischerdorf sind in dieser Oper allgegenwärtig. Auch die ur-englische Tradition der „Punch and Judy“-Puppenspiele zieht sich als Leitfaden durch den Abend. Die stumme Figur des Dr. Crabbe, im dunklen Gehrock und Zylinder, hält zu Beginn und am Ende die Figuren des Puppenspiels in den Händen. Als unheimlicher Strippenzieher begleitet er die Handlung. (...) Dass Britten den Part des Chores als heimliche Hauptperson angelegt hat, ist neben dem gesanglichen Anspruch auch eine enorme darstellerische Herausforderung. Chor und Extrachor des Theaters leisten hier Außerordentliches. In einer kunstvollen Choreografie bewegen sie sich als bedrohliche Masse, aber auch als von den Naturkräften hin und her getriebene Wesen. (...) Ein bis zum letzten Ton spannender Opernabend, den man sich nicht entgehen lassen sollte.

(Westdeutsche Zeitung)

 

Vom Fischer und seiner Frau

Benjamin Brittens "Peter Grimes" inszeniert Roman Hovenbitzer am Theater Mönchengladbach als Kasperltheater vor Meerlandschaft – und das mit großer Wirkung.

Als jener Fischer Peter Grimes vor seinem (erzwungenen) Gang ins Wasser den Pullover seines verunglückten Lehrjungen überstreift, führt uns Regisseur Roman Hovenbitzer mitten ins Herz dieses Grobians, der so voll Unglück vor Sehnsucht nach Glück ist. Das Meer tost groß und schwarz – als Video-Projektion – über den Sperrholz-Prospekt. Aus dem Orchestergraben klingen unerbittlich die Leitmotive von Natur, Gewalt und Außenseitertum herauf. Und dieser Hüne von Mann wählt das Liebste, das Wärmste seines Schutzbefohlenen, den er eben in den Tod geschickt hat, als neue, als die ihm angemessene Haut.

Ein wunderbar eindringlicher "Peter Grimes" ist am Theater entstanden. Benjamin Brittens in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs komponierter erster Opern-Erfolg erzählt vom Sonderling, von der Macht des Mobs, von der Urgewalt der Natur, von Geld und Liebe, vom Sehnen und Scheitern. Mit ihrer Arbeit treffen Hovenbitzer und sein Team ihr Publikum ins Herz. Der Premierenapplaus ist entsprechend frenetisch.

Hovenbitzer hat mit Roy Spahn einen famosen Bühnenbildner zur Seite. Spahn baut in Spanplatte. Die Bühne, eine nach vorn offene Kiste, kann sich horizontal aufteilen, als Guckschlitz für das Gerichtspublikum; oder nach oben fahren und den Horizont bilden für ein kleines properes Dörfchen, in dem hinter frisch geputzten Fensterchen Intoleranz und Vorurteil gedeihen. Wenn zur Premiere nicht der Schürboden verheddert gewesen wäre – Grimes' Fischerhütte wäre als schlichtes Wand-Geviert auf ein Podest geschwebt, das schon für die Dorfkneipe stand. Klar, reduziert, distanziert, das sind die Mittel der Bühne wie der Regie. Und doch steigern sie – im Verein mit Peter Issigs monumentalen Video-Wellenbergen – die Drastik und Dramatik der Handlung um so mehr.

Hovenbitzer zeichnet natürliche, glaubhafte Figuren. Das ist seine und der Sänger-Schauspieler Stärke. (...) Wie unaufgeregt und überaus plastisch Hovenbitzer die Massen bewegt, wie individuell die Sänger agieren, wie geschlossen sie singen - das ist ganz große Klasse. (...) Hingehen!

(Rheinische Post) 

 

Der stumme Puppenspieler Tod zieht die Fäden in diesem Stück. Mit einer kleinen Kasperlbude tritt er auf. Und die Bühne ist ein Abbild im Großen: eine hohe, rohe Holzkiste, in der die ganze enge Welt von Peter Grimes Platz hat. Grellbunte Jahrmarktsfiguren sind das, die mit lustvoller Brutalität aufeinander eindreschen. Diese Erzählweise des Regisseurs Roman Hovenbitzer ist sehr ungewöhnlich. Brittens „Peter Grimes“ sieht man ansonsten als düstere, karge Ballade; harte, arme Leute in einem sturmumtosten Fischerdorf. 

Den verbissenen Außenseiter Peter Grimes treiben sie immer tiefer in seine unbeherrschte Aggressivität. Zwei seiner Lehrlinge kommen unter ungeklärten Umständen zu Tode und der aufgestaute Hass gegen ihn entlädt sich in Lynchjustiz. Diese raue Geschichte so theatralisch verfremdet zu sehen wie jetzt in Mönchengladbach, das überrascht zunächst – und überzeugt dann immer mehr. Hovenbitzer gewinnt Spielraum. Die grotesk überzeichneten, schließlich karnevalesk vermummten Figuren können ausagieren, was ihr Handeln bestimmt: Gier, unterdrückte Sexualität, Jähzorn und Selbstsucht. Gegen Peter Grimes tobt hier ein wahrer Hexensabbat.

Das Wagnis gelingt, weil das Spiel nie beliebig wird, sondern immer grausam und ausweglos bleibt. Und vor allem weil der Hauptdarsteller Heiko Börner den Peter Grimes als Opfer und Täter zugleich zeigen kann, als tragisch in sich selbst eingesperrten Menschen. Das alles geht so spannend auf in der Neuinszenierung in Mönchengladbach, weil die musikalische Interpretation allen Facetten der Partitur von Benjamin Britten gerecht wird. Der bösen Karikatur dieser engen Welt ebenso wie der emotionalen Wucht und utopischen Kraft, die sich vor allem in den großartigen Orchesterzwischenspielen verdichten. Der Dirigent Mihkel Kütson arbeitet das mit den Niederrheinischen Sinfonikern eindrucksvoll heraus. Die zwölf Solisten dieses figurenreichen Stücks sind tolle Sängerschauspieler, denen zusammen mit Chor und Extrachor eine der besten Ensembleleistungen dieser Spielzeit gelingt.

(WDR 5 / Scala)

 

Dass in Benjamin Brittens Oper "Peter Grimes" Kasperletheater gespielt wird, ist neu. Für das Gemeinschaftstheater Mönchengladbach/Krefeld hat sich Regisseur Roman Hovenbitzer diesen Clou ausgedacht, um die dramatische Außenseiter-Geschichte um den Fischer und sein erfolgloses Streben nach Geld und Glück und Frau als Theater auf dem Theater zu inszenieren. Dazu führt er eine finstere, bleich geschminkte Figur in Frack und Zylinder ein, die vor dem Prolog zwei Handfiguren hervorzaubert und diese recht ordentlich aufeinander eindreschen lässt. Später kriegt es der richtige Peter Grimes von der versammelten Dorfgemeinschaft mit Pritschen drüber.

Ja, einfach sind die Dinge in Brittens Fischerdorf The Borough. Sonderlinge haben keine Chance. Das zeigt Hovenbitzer so distanziert wie unter die Haut gehend auf der reduzierten Bühne von Roy Spahn. Die ist kaum mehr als das Innere einer Sperrholz-Kiste, eine klaustrophobe Welt, in der sich die Natur, sprich Brittens ungemein suggestive orchestrale Meergemälde, als monumentale Video-Projektion spiegelt. Hier ist der Chor, der tumbe Mob, die treibende Kraft im Drama um den gewalttätigen Außenseiter, der Opfer und Täter, schließlich Selbstmörder ist. Hovenbitzer findet beeindruckende Bilder für die Bewegung der Massen, die an der Rampe den Saal – und die Welt – in Grund und Boden brüllen könnten. (...) Von Kasperletheater ist nach Grimes' Gang ins Wasser nicht viel übrig, das Volk macht weiter wie nach einer durchzechten Nacht. Großer Applaus.

(Rheinische Post)

 

Teuflisches Spiel

Regisseur Roman Hovenbitzer geht in seiner Inszenierung eine Deutungsebene höher: Statt sich ausschließlich auf die Konstellation von Schuld, Anklage und Unschuld zu konzentrieren, lässt er einen diabolischen Strippenzieher als die Handlung vorantreibende Kraft auftreten. Mit weißem Gesicht und schwarzem Zylinder schlängelt sich Dr. Crabbe durch die Oper wie ein unheilverkündender, gefallener Engel und genießt sichtlich das Chaos, das er anrichtet. Angelegt ist die Figur schon bei Benjamin Britten und seinem Librettisten Montagu Slater und verweist auf die literarische Quelle der Oper: George Crabbes Briefroman The Borough inspirierte Britten zu seiner ersten Oper. Und das ist nicht alles, denn der Autor taucht im Libretto als stumme Rolle des Dr. Crabbe auf. Er wird hin und wieder von der Dorfgesellschaft angesprochen, ohne jemals zu antworten. Eine großartige Vorlage für Interpreten. Hovenbitzer verknüpft die Figur des Doktors, der die Dorfbewohner nach seinen Anweisungen wie Puppen tanzen lässt, mit einem mephistophelischen oder gespenstischen Aspekt. So ganz kommt man nicht dahinter, wie bewusst sich die Dorfbewohner dieser Manipulation sind. Und hier kommen wir zum zweiten Deutungsansatz, dem englischen Puppentheater Punch and Judy, das dem deutschen Kasperletheater ähnlich ist. Punch ist ein gewalttätiger Charakter, der alle tötet, die ihm im Wege sind, einschließlich seinem eigenen Kind und seiner Frau Judy. Die Dorfbewohner machen Grimes gleich zu Beginn in der Gerichtsverhandlung zu ihrem persönlichen Punch und setzen ihm die Kasperlemütze auf. Grimes wird dabei nicht in den Zeugenstand gerufen, sondern muss sich in eine Holzkiste stellen, deren rote kleine Vorhänge sie als Puppentheater auszeichnen. Als festes Element zieht sich die Kiste durch die Oper, ersetzt mal das Schiff Grimes, mal muss Ellen darin büßen. Die übrigen Dorfbewohner qualifizieren sich als dankbares Publikum, das sich an den grausamen Geschichten des Puppentheaters ergötzt, sich sogar selbst in übergroße Puppen verwandelt und mit Pritschen auf Grimes einprügelt. Crabbe scheint dabei die Fäden zu ziehen, omnipräsent lenkt er hämisch lachend Peter Grimes‘ Schicksal.

Die Kostüme von Magali Gerberon unterstützen Hovenbitzers Regieansatz auf vielfältige Weise: Zum einen arbeiten sie die Charaktere bis auf das Genaueste heraus, (...) zum anderen wird die phantastische Komponente des Puppenspiels klar, wenn die gesamte Dorfgemeinschaft in clownesken bis karnevalesken Kostümelementen und Pritschen in der Hand gegen Grimes vorrückt. Gerberon hat es verstanden, vor allem detailgenau zu arbeiten – die Inszenierung gewinnt dadurch sehr. (...)

Bühnenbildner Roy Spahn arbeitet mit viel Holz: Wände aus Holzplatten rahmen die Bühne ein und dienen sowohl als Meer, das als Projektion die Wellenbewegungen auf die Bühne bringt, als auch als voyeuristisches Element für die Dorfbewohner, die sich in einem auftuenden Spalt wie in einem nicht enden wollenden Fenster auf die Brüstung lehnen und das Spektakel beobachten. Eine Erweiterung des Puppenspiels sind die Häuser des Dorfes, die als mobile Miniatur-Puppenhäuser eingesetzt werden, so wird unter anderem die Kirche ins Bild getragen und verortet sich so selbst.

Die Gesamtinterpretation des Regieteams ist äußerst stark, das muss erst mal funktionieren. Und sie funktioniert! – wenngleich sie sich erst im Laufe der Handlung manifestiert. (...) Doch die aussagekräftige Musik Brittens geht zum Gewinn aller eine Symbiose mit der Bühnenhandlung ein. Vor allem die ruhigen, emotionalen Momente gelingen so stark, dass kleine Schwächen schnell vergessen sind. Das Publikum lässt sich von dieser nautischen Oper bewegen und ist gleich dem Meer mal ruhig und verdienterweise stürmisch am Ende. Ein langer Applaus mit stehenden Ovationen zollt den Künstlern und dem Regieteam den verdienten Respekt.

(Opernnetz) 

 

Peter Grimes als Punch-Oper

Der Chor wird von Regisseur Roman Hovenbitzer als kompakte Masse gezeigt, individualisiert allenfalls durch die Kostüme Magali Gerberons, welche beim Tanzfest im 3. Akt ausgesprochen jahrmarktsartig ausfallen. Im Prolog wie auch am Schluss sitzen die Chormitglieder in einem kühl-nüchternen Arenakasten Roy Spahns über Peter Grimes zu Gericht, eine Masse mit „gesundem Volksempfinden“, weniger nach Fakten als nach Bauchgefühlt urteilend. Man mag den eigenbrötlerischen, verschlossenen Fischer nicht, verdächtigt ihn, den Tod seines Lehrjungen verschuldet zu haben. Im 1. Akt hängt man dicht an dicht aufeinander, schart sich eng um seine Behausungen, von Spahn als Spielzeugbauten entworfen.

Diese Optik rührt fraglos von der treffenden Regieidee her, die Opernhandlung mit dem in England seit dem 17. Jahrhundert beliebten Puppenspiel Punch-and-Judy in Beziehung zu setzen. Punch, vergleichbar mit Kasperl oder Guignol, ist ein Schlagetod, der Frau und Kind umbringt, von den Menschen gefürchtet, für sein radikales Freiheitsdenken aber irgendwie auch bewundert wird. Ein derart empfindliches Gleichgewicht zwischen Individuum und Masse findet sich auch in Brittens Oper. Die stumme Figur des Dr. Crabbe lässt Hovenbitzer als Puppenspieler immer wieder (und manchmal etwas symbolschwer) über die Bühne geistern. Das stachelt die Dorfbewohner auf, sogar den schüchternen, ängstlichen Lehrjungen von Grimes überkommt einmal die Aggressivität. (...) Abgesehen von einem Buh-Ausrutscher war das Publikum von der Aufführung merklich enthusiasmiert.

(Der Opernfreund/Der neue Merker)

mobil: 0173/2901840

mail: romanhovenbitzer@gmail.com