pressestimmen

Der Tod und das Mädchen

Puccinis LA BOHÈME am Anhaltischen Theater - eine Sternstunde!

Eins muss man ihm lassen: Der Tod ist ein guter Tänzer. Galant bittet er das Mädchen zum Pas de deux, geschickt stützt er ihre Pirouette ... doch wenn die Musik verklingt, bleibt er allein zurück. Das ist der Preis des Reigens und das Ende vom Lied: Wer sich zum Leben auffordern lässt, bezahlt dafür mit dem Sterben.

Im Schlussbild seiner Inszenierung von Giacomo Puccinis "La Bohème" löst Roman Hovenbitzer am Anhaltischen Theater Dessau jenen szenischen Dreisatz auf, den er mit Mimis Auftritt am Anfang etabliert hat. Die Sängerin ist eine Tänzerin ist ein Automat - eine Verschachtelung, in der sich die reale Figur von vornherein auflöst und zur Projektionsfläche von fremden und eigenen Sehnsüchten wird. Denn so, wie sie der Dichter Rodolfo zu seiner Muse stilisiert, träumt sie sich auch selbst als eine Andere. Und so umtanzt sie ein bunter Schatten, der sich seinerseits als kleine Puppe auf einer Spieluhr betrachtet - eine symbolistische Matrjoschka, wie sie die Bohemiens in ihrer Pariser Dachkammer nicht besser hätten erfinden können.

Die stumme Figur der "Poesie“ bleibt nicht die einzige Überformung der alten Geschichte. Hovenbitzers Einfall, der Moritat ein lyrisches Präludium voranzuschicken, stärkt den komödiantischen Ton des Abends - und polstert die Unmittelbarkeit ab, mit der die Tragödie ansonsten auf ihr Publikum prallt. Der Spielwarenhändler Parpignol und sein sinistrer Gefährte sind die bösen Clowns, die sich hier über die großen Gefühle lustig machen - und die am Ende doch nicht verhindern können, dass man von der entsetzlich einfachen Wahrheit dieser Geschichte gerührt ist. Denn als Mimi stirbt, verstummt nicht nur das übermütige Männerquartett der Lebenskünstler. Es ist, als hielte die ganze Welt für einen Augenblick den Atem an - und lauschte den letzten Takten im leeren Raum.

Mit seinem offenen Schlussbild vollendet Ausstatter Tilo Steffens ein Raumkonzept, das aus der kargen Mansarde zunächst in die Talmi-Opulenz des weihnachtlich geschmückten Quartier Latin und dann zurück in die kalte Winternacht führt. Und hier drängt sich das bunte Völkchen von einst als schwarze Masse frierend und neugierig am Horizont zusammen, als würden die Voyeure aus dem Parkett von einem fernen Spiegel verdoppelt: Mimi stirbt vor aller Augen und ist doch ebenso allein wie jene, die sie lebend zurücklässt.

Der helle und schier endlose Jubel, mit dem die Premiere quittiert wurde, galt am Samstag nicht allein dieser etwas überfrachteten, in sich aber schlüssigen und aus der Musik entwickelten Lesart. Zugleich wurde hier der glückliche Ausgang einer Endprobenphase gefeiert, die unter keinem guten Stern gestanden hatte: Zunächst war die Interpretin der Musetta erkrankt, wenig später erwischte es gleich beide alternierend besetzten Rodolfo-Darsteller - eine Not, die dank kurzfristiger Umbesetzungen in eine Tugend verwandelt werden konnte. (...)

Was dem Dessauer Premierenpublikum hier geboten wird, ist eine Sternstunde.

(Mitteldeutsche Zeitung)

 

„In dir finde ich den Traum, den ich schon immer träumen wollte. Verstehst du mich?“

Das Anhaltische Theater Dessau, das in einer permanent hohen Qualität, an der sich die größten Häuser in Deutschland messen können, produziert, wird auch einen Puccini hervorragend gestalten. Allein die Besetzung, die musikalische Leitung und das Regieteam versprach sensationelles. Also hin! 

Roman Hovenbitzer und sein Ausstatter Thilo Steffens sind auch für mich keine Unbekannte, ihr Inszenierungsstil, modern, aber durchaus der Tradition verbunden, entspricht auch genau meinem ästhetischem Empfinden. Gleich zu Beginn ein Bruch, zwei Clowns, eher Horrorgestalten als Spaßmacher zitieren zärtliche Liebesgedichte, die die Handlung der Boheme unterstreichen. Die beiden interpretieren dann auch alle Nebenfiguren der Oper, David Ameln den Parpignol und Cezary Rotkiewicz Benoit, Alcindor und den Sergeanten an der Stadtwache. 

Hovenbitzer und Steffens verlegen die Handlung der Oper aus ihrer Originalzeit und –Ort, dem revolutionärem Paris der 1830 Jahre in einen vagen, immer gültigen Rahmen. Vier mehr oder minder mittellose Künstler leben in einer WG zusammen. Der eine, Rodolfo, leidet unter einer Schreibblockade. Da tritt eine Frau in sein Leben, Mimi als Sängerin, hier gedoppelt als reale Nachbarin, und als Projektion Rodolfos, die Muse Mimi als Tänzerin. Ab diesem Moment scheint die Zeit für Rodolfo langsamer zu vergehen, Puccinis Melodien werden sanfter. Seine WG-Genossen bemerken die Veränderung ihres Freundes nicht. 

Das zweite Bild, der Café Momus Akt, gerät zu einem verspiegelten, kaltrot-flittrigem Weihnachtsmarktspektakel. Das quirlige Treiben vor dem Café gerät bei Hovenbitzer und Steffens zu einem Schaulaufen der Massen. Der Chor gibt eine gleichgeschaltete Menge, scheinbar ohne eigene Persönlichkeit, wie Projektionen einer anderen Matrix. 

Nach der, gefühlt viel zu langen, Pause, stellte sich für mich dann die Frage, wie Roman Hovenbitzer die Szene mit der Zollschranke lösen wird. Seine Lösung so einfach und so einleuchtend war, dass er das Geschehen einfach im Off spielen ließ und den Blick des Zuschauers auf seine Hauptprotagonisten richtete. So gelang ihm der Spagat die Oper ohne Striche, aber auch ohne Konkretisierung des Räumlich-Zeitlichen, zu zeigen. 

Nach der Trennung von ihren Frauen leben die Jungs wieder in ihrer alten WG. Doch das Feuer der Kreativität scheint erloschen, ohne ihre Musen stümpern Rodolfo und Marcello vor sich hin, nichts scheint ihnen zu gelingen. Einen Moment der Entspannung bekommt das Publikum beim wunderbar choreographierten Duell im Quartett, bevor es wirklich ernst wird. Mimi kehrt zum Sterben zu ihrem Rodolfo zurück, Musetta verliert ihre Kaltschnäuzigkeit beim Gebet, dennoch, die Hilfe kommt zu spät. Und genauso wie Mimi und die Muse Mimi in Rodolfos Leben getreten sind so gehen sie auch. Die reale Mimi stirbt, die Muse entschwindet auf einer Spiegelkugel in den Bühnenhimmel. Beobachtet vom schwarzen Clown und einem dunkel gewandeten Chor bleiben fünf einsame Menschen zurück. Der Tod in vielerlei Masken unterstreicht die Endlichkeit alles Menschlichen, dabei wirkt dieser personifizierte Tod nie als Gefahr, sondern scheinbar als Freund und Partner. 

Die besondere Leistung Hovenbitzers und Steffens‘ liegt darin, „La Boheme“ in scheinbar modernem, neudeuterischem Kleid daher kommen zu lassen, dass es aber eine, und das Regieteam möge es mir verzeihen, sehr konservative Inszenierung ist. Sie erzählen äußerst präzise die Geschichte jenes tragischen Liebespaares, verzichten dabei nicht auf Requisiten und Versatzstücke der nun über hundertjährigen Erfolgsgeschichte dieser Oper. Dass sie dabei nicht in eine Kitschorgie oder in einen Hyperrealismus geraten, verdeutlicht die ewige Aktualität des Stoffes. Ihre Mimi stirbt, sie geben nicht preis an welcher Krankheit, sondern sie zeigen das einfache Ende einer, vielleicht, ganz großen Liebe. 

Die weiteste Anreise lohnt sich, wenn das Ziel Dessau heißt, es einen Puccini mit diesen Sängern, diesem Orchester und vor allem solch eine grandiose Regieleistung gibt. (Der Opernfreund)

Ein vom gesamten Ensemble toll gespielter, wirklich runder Abend, der beim Premierenpublikum bestens angekommen ist. 

Empfehlung: Unbedingt hingehen 

(mdr/Figaro)

 

Ein richtig schöner Theaterabend, der vom Publikum zu recht stürmisch gefeiert wurde.

(deutschlandradio kultur/Fazit)

 

Liebesgeschichte trifft die Herzen des Publikums

Mit Giacomo Puccinis Oper "La Bohème" hat das Anhaltische Theater Dessau einen weiteren künstlerischen Höhepunkt markiert. 

Roman Hovenbitzers Inszenierung wurde zur Premiere am Samstagabend im gut besetzten Großen Haus mit viertelstündigem Applaus begeistert gefeiert. (...) Den Akteuren gab Regisseur Roman Hovenbitzer künstlerisch weitgespannte Räume, um das an sich überwiegend handlungsarme Geschehen kurzweilig "im Fluss" zu halten. Tilo Steffens (Kostüme und Bühne) schuf dazu die realen Räume, karg ausstaffiert, doch effektvoll symbolisch in der Wirkung. Hovenbitzer hatte mit seiner Besetzung eine durchweg glückliche Hand. Brillanter Gesang und trefflich charakterisierendes Spiel wurden auch in keiner Weise geschmälert durch die zur Premiere nötigen kurzfristigen "Ersatzlösungen" für erkrankte Darsteller. (...)


In seiner Personenführung legt Roman Hovenbitzer das Hauptaugenmerk auf die psychische Auslotung der Charaktere, auf Atmosphäre und Emotionalität, gepaart mit unaufgesetzter Symbolik. Seine Inszenierungsidee trifft die Herzen des Publikums. (...) 

Für den jungen Poeten ist die todkranke Näherin Mimi Geliebte und Muse/Poesie zugleich. Hovenbitzer gibt dieser fiktiven Poesie, einem zweiten Ich, durch eine auf einer Silberkugel einschwebende gleich gekleidete Tänzerin eine semireale Gestalt, die Mimis Erleben tänzerisch tangiert. Mit dem kaum an Emotionalität zu überbietendem Sterben der Mimi in der Dessauer Inszenierung entschwindet die Poesie in die Weite der Welt.


(Volksstimme Sachsen-Anhalt)

mobil: 0173/2901840

mail: romanhovenbitzer@gmail.com