pressestimmen

Dies ist mein zerbrechlicher Leib

Der Messias kommt nicht. Keine Krippe, kein Kreuz gibt es in der Opern- und Tanzfassung des Händel-Oratoriums, das jetzt im Großen Haus des Braunschweiger Staatstheaters eine zu recht umjubelte, vielfältig anregende und die Kunstformen klug verbindende Premiere erlebte. Christus tritt nicht auf, aber sein Wort, die Idee von Frieden und Liebe unter den Menschen als eigentlicher Wille Gottes, wird fassbar in diesem szenischen Experiment. Unter der zerstörten Kuppel, die auch ein Teil der Weltkugel sein könnte, müssen sich die wüst und wirr liegenden Menschen erst durchringen zu dieser Erkenntnis. Da wird anfangs nochmals kraftvoll in den Sündenapfel gebissen, da bedroht und metzelt man den Nächsten und verfolgt die Verkünder der messianischen Zeit. Doch dann wird das große Ei gelegt, es schwebt als Symbol des Lebens ein, wird von den Darstellern mit dynamischen Sprüngen umwirbelt und überkullert – eine frohe Botschaft, gehüllt in Zerbrechlichkeit. Natürlich ist, da dem MESSIAS eine konsequent-lineare Handlung fehlt, nicht alles ganz stringent in Roman Hovenbitzers Regie, aber er versteht Chor und Solisten in bedeutungsvolle Bahnen zu lenken. Die Bilder und Handlungen stehen hier bestens in kommentierendem Zusammenhang zu den Texten. Am schlagendsten wohl vor dem „Halleluja“: Da rasen die Feinde keineswegs feindlich, sondern tanzen zwar ratlos, aber friedlich ihre wirren Wege. Doch mit weißroten Geometerstangen rücken die Glaubensenthusiasten an, schlagen sie mit ihren Maßstäben zusammen, um als triumphierende Gotteskrieger zum Halleluja an die Rampe zu schreiten, eine bedrohliche, selbstgewisse Masse. Diesem alttestamentarischen Verständnis stellen Hovenbitzer und Choreograph Henning Paar das Mitleidsevangelium gegenüber: Die Opfer werden erhoben, während sich die Fanatiker die Augen verbinden und blind also für den Geist des Buchstabens in ihren Bibeln lesen.  (...) Es mag etwas flapsig sein, wenn zum großen Schluss-Amen alle ihre Frühstückseier aus den Picknicktornistern holen. Trotz dieses finalen diesseitigen Religionsverständnisses ist Hovenbitzer und Paar aber eine bedenkenswerte Stellungnahme gelungen. 

(Braunschweiger Zeitung)

 

Durch die Vermeidung eindeutiger Zuordnungen gewinnt das Werk, denn die Inszenierung bietet nichts, was einfach abzuhaken wäre. Präsentiert wird ein sich permanent umstrukturierendes Bilderrätsel. Alte Zöpfe sind also in der Requisite geblieben, stattdessen schneidet dieser neue MESSIAS zeitlose Menschheitsfragen an: Wie nehmen Menschen ihnen Fremdes an und ihnen Fremde auf? Welchem Begehren folge ich in meinem Leben? Den Schlüssel liefern Hovenbitzer/Paar, indem sie als Bezugsrahmen für alle Heilserwartungen das eigene individuelle Erleben und Handeln in den Mittelpunkt rücken. Die frohe Botschaft liegt dabei verborgen unter einer zerbrechlichen Schale: Jeder ist aufgefordert, sie persönlich für sich zu entdecken. 

(Radiokritik NDR–Niedersachsen)

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